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Blade Runner: Wenn das Morgen von gestern zur Gegenwart wird

In Science-Fiction-Filmen wird oft die Zukunft gezeigt. Aber ob die erdachte Fiktion später dann tatsächlich so aussieht, lässt sich nur selten überprüfen, weil das Jahr 2154 – da spielt z. B. Avatar – einfach noch nicht erreicht ist. Nun gibt es erneut eine solche Möglichkeit. „Blade Runner“, ein Klassiker des Science-Fiction-Films, spielt im Jetzt. Genauer gesagt im November 2019. Vergleichen wir also, ob das, was Regisseur Ridley Scott gestern als das Morgen dargestellt hat, heute tatsächlich so ist.

Science Fiction im Kino

Schon seit die Bilder laufen lernten, zeigen uns Regisseure, wie sie die Zukunft sehen und wie wir zu fremden Himmelskörpern reisen. Nach der „Reise zum Mond“ (1902) und „Metropolis“ (1927) gehört „2001, Odysee im Weltraum“ (1968) sicherlich zu den Klassikern. Aber erst in den 1980er und 1990er Jahren kamen Science Fiction Fans in den Kinos so richtig auf ihre Kosten. Die modernen Special Effects schufen bis dahin nicht gekannte Möglichkeiten für die Regisseure und die bildgewaltigen Phantasien über das Leben im Weltraum explodierten förmlich in Laserschlachten mit fremden Kreaturen. Menschen jagen in Raumschiffen Weltraummonster in atemberaubendem Tempo über die Leinwand (Alien 1979). Außerirdische besuchen die Erde und lassen BMX-Räder die Schwerkraft besiegen (E.T. 1982). Menschengleiche Roboter lassen die Grenzen zwischen echtem Leben und Mikrochip verschwimmen (Terminator 1991). Selbst mit Weltraumklamauk (Mel Brook’ Spaceballs, 1987) konnte man damals Geld verdienen und manchmal mussten sogar weder Story noch Effekte besonders gut sein, solange die Filmmusik stimmte (Queen in Flash Gordon, 1980).

Wie glücklich war ich, als ich das erste Mal eine ganze Galaxie den Kampf zwischen Gut und Böse ausfechten sah (Star Wars, 1977 bis 1983). Ich war damals ein Teenager. „So, genau so, wird die Zukunft aussehen. Wie geil wird das denn …“, dachte ich mir oft. Doch das stimmt gar nicht. Der berühmte Vorspann von „Krieg der Sterne“ beginnt mit den Worten: "Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis ...“. „Star Wars“ spielt in der Vergangenheit. Eine erlebbare Zukunft konnte man erst 1982 in „Blade Runner“ sehen. Und die schien alles andere als geil zu werden.

Blade Runner: Die Zukunft wird düster

Ridley Scotts „Blade Runner“ spielt auf der Erde. Genauer gesagt in Los Angeles im November 2019. Der Regisseur stellt sich 1982 das L.A. der Zukunft wie einen Molloch vor, eine schier nicht enden wollende Aneinanderreihung von Wolkenkratzern und Beton. Bei einem Kameraschwenk über die Stadt reichen die Lichter bis zum Horizont. Es ist andauernd dunkel und es regnet praktisch permanent. Die Szenerie übersteigt die düstersten Prophezeiungen der „Atomkraft? Nein danke!“-Bewegung aus den 1980er Jahren. Aus der Kanalisation dampft es ständig, es ist nass und kalt. Immer. Von Erderwärmung keine Spur. Fast schon verwunderlich, dass Donald Trump den Film nicht als Beweis heranzieht, dass Klima-Greta falsch liegt. Aber … da die Dunkelheit und das Wetter die Stimmung im Film massiv prägen, ist eher von einem Stilmittel auszugehen, denn von einer Prognose der Zukunft.

Korrekter liegen die Macher hingegen bei der Darstellung einer Metropole mit mehreren Millionen Einwohnern. Das fiktive Los Angeles ist übervölkert und ein Melting Pot der Nationen. Die Passanten kommunizieren nicht nur in Englisch. Auch Japanisch, Arabisch, Spanisch und andere (Kunst-?)Sprachen beherrschen die Szenerie. Selbst Deutsch ist im Hintergrund ein-, zweimal zu hören. Oftmals tragen die „fremd“ sprechenden Menschengruppen ähnliche Kleidung, die sie von anderen unterscheidet. „Blade Runner“ skizziert das, was wir heute bei der Globalisierung beobachten können. Weltweit arbeiten, miteinander leben – egal wo – und trotzdem der Hang, seine eigene geografische Identität nicht zu verlieren. Ein interessantes Detail für die aktuellen politischen Strömungen, dass trotz aller Düsternis und Negativität des Filmes eines funktioniert und gar nicht erst infrage gestellt wird: das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Das Böse ist nicht der Fremde, es sind Maschinen.

Turing Test und Robotik in Blade Runner

In „Blade Runner“ geht es – in aller Kürze gesagt – darum, Roboter („Replikanten“ genannt) aus dem Verkehr zu ziehen, da einige von ihnen ein Eigenleben entwickeln und zur Gefahr werden. Das Problem ist, dass diese Replikanten von echten Menschen nicht zu unterscheiden sind. Spezialisten (sie werden „Blade Runner“ genannt) sollen sie daher enttarnen. Einer dieser Spezialisten ist der vom Indiana-Jones-Darsteller Harrison Ford gespielte Rick Deckard. Um einen Replikanten zu erkennen, befragen die Blade Runner sie wie bei einem Verhör. Die Idee dahinter ist, dass die Artificial Intelligences zwar eingespielte Erinnerungen haben, diese aber niemals in Tiefe und Detail an echte Erinnerungen herankommen. Eine Erzählung würde blass bleiben, Detailnachfragen nicht beantwortet werden können.

Die Verhöre der Blade Runner erinnern ein wenig an eine Variante des Tests, den der einflussreiche Informatiker Alan Turing 1950 skizziert hat. Turing überlegte, wie man feststellen könne, ob eine Maschine ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen hat. Beim echten Turing Test würde der Blade Runner den mutmaßlichen Replikanten aber nicht sehen, er wäre durch einen Vorhang verdeckt, die Antworten würden auf einem Monitor angezeigt. Im Film ist das anders. Beide Parteien sitzen sich gegenüber, die Replikanten sind körperlich nicht von echten Menschen zu unterscheiden. Auch wenn die Robotik gerade Sprünge in der Entwicklung macht, davon sind wir noch weit entfernt. Aktuell schaffen wir es mit Deep Fakes „gerade mal“, digitale Bewegtbilder in Echtzeit so zu manipulieren, dass sie kaum von einer wirklichen Übertragung unterscheidbar sind.

Anders sieht dies bei der Sprache aus. Systeme mit Artificial Intelligence können heute schon exzellent Stimmen imitieren. Sogar live, was bereits bei CEO-Fraud-Fällen eingesetzt wurde, in denen der (vermeintliche) Vorstand einem Mitarbeiter am Telefon den Auftrag zu einer Überweisung gegeben hat.

Artificial Intelligence

Artificial Intelligences (AI) sind lernende Systeme und basieren oftmals auf einem definierten Ziel mit Belohnungen. Wie ein Hund, der nach Leckerlis strebt, wird eine AI durch Ausprobieren verschiedene Wege testen und irgendwann den lohnendsten finden. Das kann aber auch in die Hose gehen, wie sich im August 2018 zeigte, als Forscher von OpenAI und den Universitäten Berkeley und Edinburgh eine „neugierige“ AI vorstellten. In einer Art Labyrinth gab es Belohnungen für alles Neue. Die AI suchte daher ständig nach ihr unbekannten Pixeln im virtuellen Raum. Diese Gier wurde dann jäh von einem Fernseher gestoppt. Immer neue Bilder auf dem Bildschirm (und sogar das weiße Rauschen nach „Sendeschluss“) sorgten für eine perfekte Belohnung. Die AI stellte daraufhin die Erforschung des virtuellen Raumes ein, blieb stehen und glotzte für immer und ewig auf den Fernseher. Das hat nun wirklich nichts mit realer Intelligenz zu tun, wobei sich ein ironischer Vergleich mit dem „typischen Privatfernsehzuschauer“ geradezu aufdrängt.

Doch zurück zu dem Verhör einer AI durch einen Blade Runner. Die „Replikanten“ müssen zwangsläufig bei Fragen, auf die sie keine Antwort haben, Dinge erfinden. Plausible Dinge, um nicht aufzufliegen und (wie heißt es im Film so unaufdringlich) in den Ruhestand geschickt, sprich: erschossen zu werden. Und ja, das geht heute schon. Im August 2017 statteten Forscher von Facebook Chatbots mit Artificial Intelligence aus und ließen diese mit Menschen und anderen Chatbots verhandeln. Und siehe da: Schon nach kurzer Zeit lernten die AIs zu lügen. Sie verschleierten ihr eigentliches Interesse an Dingen, nur um diese dann später günstiger zu bekommen. Warum sollte eine AI also keine Strategie entwickeln können, um gar nicht erst als Algorithmus erkannt zu werden?

Das größte Problem dürfte jedoch sein, den Robotern „echte“ Gefühle einzupflanzen. Angst oder Liebe. Das klappt heute noch nicht. Selbst die naturgetreuesten Sex-Roboter bieten das nicht an, obwohl sie mittlerweile weit weg sind von den aufblasbaren Luftmatratzen-ähnlichen Puppen des früheren Jahrtausends. Die Hersteller „lebensechter Liebesdolls“ werben nur mit Äußerlichkeiten, sie seien lebensecht und realistisch. Von echter Liebe steht zumindest auf den Webseiten von VeaLove oder JoyLoveDolls (noch?) nichts.

Technologien und Gadgets in Blade Runner

Ansonsten liegt der Film bei vielen Dingen total richtig und zeigt den Weitblick von Philip K. Dick. Auf seinem Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ basiert der Kinoklassiker nämlich.

Im fiktiven Los Angeles von 2019 dominiert ein mächtiger Konzern das Leben. Die Tyrell Corporation baut nicht nur die Replikanten, sie hat auch sonst große Macht. Verglichen mit Heute könnte sie als Synonym für Googles Alphabet, Facebook oder auch Apple stehen. Auch diese Firmen bestimmen nicht nur den technologischen Markt mit, sondern heute auch soziale Themen und die Gesellschaft.

Weiterhin ist bei „Blade Runner“ Werbung allgegenwärtig und beschallt die Bewohner von L.A. Tag und Nacht, immer und überall. Es ist aber keine zielgerichtete Werbung, wie sie heute durch Profile an uns ausgespielt wird. Neben fliegenden Plakatwänden mit quäkenden Lautsprechern sind im Film Neonröhren dominant. Regisseur Scott lässt hier Firmenlogos aufleuchten, von denen man damals vermutlich glaubte, sie würden 2019 noch eine große Rolle spielen. Bei Coca Cola hat das geklappt. Dass Atari ab Mitte der 1990er vom Markt verschwindet, hatte man wohl nicht erwartet. Selbst wenn die Markenrechte daran mehrfach weiterverkauft und heute wieder genutzt werden, das Atari-Logo mit dem stilisierten Mount Fuji habe ich bisher jedenfalls nicht in Form einer riesigen Neonreklame zu Gesicht bekommen.

In „Blade Runner“ wird nicht telefoniert, es wird schon geskypt, also videotelefoniert. Die Ausführung im Film mit den damals zur Verfügung stehenden Materialien wirkt jedoch zum Teil hemdsärmlich, fast schon erheiternd. Das Videotelefon ist noch in einer Telefonzelle untergebracht und hat ein Wähltastenfeld unter einem Röhrenmonitor. Kein flaches LCD-Display mit Touch-Funktion. Das erste Videotelefon in einem Science-Fiction-Film kommt übrigens schon in Fritz Langs Stummfilm „Metropolis“ von 1927 vor – allerdings noch mit Hörer und ohne Freisprechanlage.

Technologisch total daneben liegt der Film nur in zwei Dingen. Die allgegenwärtigen Flugtaxis sind heute noch nicht präsent und auch Smartphones gibt es in "Blade Runner" nicht. Die Menschen lesen Zeitung und achten selbst beim Laufen auf ihre Umgebung.

Fazit

Ridley Scotts Zukunftsvision in „Blade Runner“ trifft im Großen und Ganzen zu, auch wenn die gezeigten Ausprägungen gegenüber heute fortschrittlicher sind. Dies betrifft sowohl den Stand in der Robotik als auch den der Artificial Intelligences. Selbst bei der Vernichtung der Natur sind wir noch nicht so weit. Aber an all dem, was da noch fehlt, arbeitet die Menschheit gerade. An Algorithmen, die uns überlegen sind, an Maschinen, die sich wie Menschen verhalten, an der Besiedlung fremder Planeten und an der vollständigen Zerstörung des Klimas. All das ist noch in der Mache!

Vielleicht spielt „Blade Runner“ also gar nicht im Jahr 2019, sondern erst 2119? Kann ja sein … vielleicht war das nur ein Schreibfehler im Vorspann. Lassen Sie uns doch daher in 100 Jahren an dieser Stelle noch einmal prüfen, ob die in der Vergangenheit erdachte Zukunft dann der Gegenwart entspricht. Bis dann!